ÖtillÖ "1000 Lakes" (1. Oktober 2017)

(von Joe K und Karsten K) Als Triathleten können wir Schwimmen, Radfahren und Laufen, da wird ein Wettkampf mit nur Schwimmen und Laufen wohl kein größeres Problem für uns darstellen. Dachten wir etwas naiv vielleicht, jedenfalls gingen wir auf eine spannende Reise mit vielen Überraschungen, positiven aber auch zunächst weniger erfreulichen. Letztere halfen aber, uns den Fokus aufs Wesentliche zu bewahren, und schlussendlich sollten wir reich belohnt werden.

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Nach 5 Stunden, 58 Minuten und ein paar Sekunden war es geschafft, wir hatten am 1. Oktober den Ort erreicht, an dem wir tags zuvor bereits zuversichtlich gelächelt hatten:

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In der Sonne ist natürlich leicht lächeln, aber den Regen am 1.10. haben wir kaum gespürt, es gab auf der Strecke durch die wunderschöne Rheinsberger Kleinseenplatte wahrlich andere Prioritäten, auf die wir fokussiert sein mussten: Hält die Wade? Reicht die Kraft um mit Paddles 7,6km zu schwimmen? Werden wir beim Laufen im Neopren überhitzen oder beim Schwimmen in den im Schnitt ca. 15 Grad messenden Seen erfrieren? Schwimmen wir mit den Schuhen an den Füssen oder stecken wir sie in den Neo, falls letzteres wie lange dauern die Wechsel? Beschlägt die Brille, wird das Lauftraining ausreichend gewesen sein um die Strecke zu bewältigen? Und dergleichen mehr.

Den Begriff ÖtillÖ hatten wir 2015 zum ersten Mal bewußt wahrgenommen. Er steht auf schwedisch für "von Insel zu Insel". Irgendwelche Schweden hatten vor nunmehr 12 Jahren den SwimRun - Sport aus der Taufe gehoben getreu dem Motto "Drunken bets make the best memories": Man läuft über eine Insel in den Schären vor Stockholm, am Ende der Insel springt man ins Wasser und schwimmt zur nächsten, läuft weiter, schwimmt wieder und läuft und schwimmt und läuft bis man schliesslich im Ziel ist, welches auf der Originalstrecke 10 Schwimm- und 65 Laufkilometer entfernt liegt. Zunächst nur in Schweden bekannt, entwickelt sich seit wenigen Jahren eine internationale SwimRun-Szene und auch Wettkampfserie, unter dem Label "ÖtillÖ", aber auch mit zahlreichen unabhängigen Veranstaltungen. Der "1000 Lakes" mit Start in Wesenberg in Mecklenburg-Vorpommern und Ziel in Rheinsberg / Brandenburg fand 2017 zum zweiten Mal statt und gehört zur offiziellen ÖtillÖ - WorldSeries, angeboten werden ein Sprint am Samstag über 2+10km sowie 7,6+34=41,6km am Sonntag, bei letzterem kann man sich auch für die Weltmeisterschaft, ausgetragen auf der oben erwähnten Originalstrecke vor Stockholm, qualifizieren.

2016 wurde SwimRun in unserem Verein gelegentlich diskutiert, "man müsste mal irgendwo mitmachen", "interessant, wo gibts solche Wettkämpfe", "welches Material benötigt man dafür eigentlich" und so weiter. Als kleiner "Teaser" wurde auf der Saisonabschlussparty 2016 bereits einiges an SwimRun-Material präsentiert. 2017 wurde es dann tatsächlich konkreter und Karsten und Joe bekundeten wechselseitig ihr Interesse. Da der Wettkampf IMMER im Paar veranstaltet wird, müssen sich also zwei Sportler (Männer, Frauen, Mixed) finden, die annähernd gleich schnell sind sowohl beim Schwimmen als auch beim Laufen. Kleinere Differenzen kann man mit Wasserschattenschwimmen oder dem Einsatz eines Zugseils ausgleichen, größere Differenzen sind hingegen schwieriger. Diese Voraussetzungen waren bei uns ganz stimmig, und so schauten wir genauer hin: SwimRun Allgäu mit 4km Schwimmen und 20km Laufen bot sich von den Streckenlängen her an zum Einstieg, lag aber terminlich parallel zum Familienurlaub unter südlicher Sonne, somit unerreichbar. "1000 Lakes" eine Woche früher bot den Sprint mit 2+10km, für unseren Geschmack etwas wenig um eine 600km lange Anreise auf uns zu nehmen. Blieb die Marathondistanz von 41,6 km, wo die Streckenlänge in einem guten Verhältnis zur Anreiseentfernung zu stehen schien. Aber auch zu unserer Form?

Mittlerweile waren die Sommerferien vorbei, die Triathlonsaison ging ihrem Ende entgegen, und beidseitig hatten wir jeder die Wahrscheinlichkeit einer Teilnahme mal nach unten und mal nach oben korrigiert. Beide fragten wir uns bekannte Sportler, ob sie sich denn einen Start dort vorstellen könnten, habe doch der jeweilige Parter möglicherweise doch nicht die Möglichkeit mitzumachen. Weitere Partner fanden sich letztlich nicht, aber auch alle Unwägbarkeiten konnten schliesslich ausgeräumt werden, so dass wir uns Anfang September tatsächlich anmeldeten! Wie sich später herausstellen sollte waren wir längst nicht die letzten.

Unsere konkrete Vorbereitung bestand also im Wesentlichen aus der noch übrigen Triathlonform des Jahres, einer guten Portion Neugier und Übermut, und dann im Laufe des September doch auch noch spezifischer Trainingseinheiten:

  • wir schwammen 100x100 Meter im Freibad, davon 4000m mit Paddles
  • Karsten lief einige Male um die 20km (auf guten Wegen zB Niddauferweg)
  • Joe schwamm einige Meter mit neuartigen Flossen, die, wie sich herausstellen sollte, sehr gewichtig waren und er im Anschluss seine Wade mit Elektrostimulation pflegen durfte, an echtes Lauftraining war vorerst nicht zu denken.
  • Also schwammen wir mehr, u.a. ein Test im Bärensee in Bruchköbel mit 5 Wechseln zwischen Schwimmen und Laufen in voller Montur, wobei die ADAC-Warnwesten die späteren Startnummern simulierten:

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Beim Laufen war es insgesamt also deutlich dünner als beim Schwimmen, aber hey, was sind schon 34km Laufen, die teilen sich ja auf auf insgesamt 11 Abschnitte, der längste gerade mal 7km lang, was soll da schon groß passieren, sagten wir uns. Ausserdem ist McPomm ja flach und die Waldwege breit und eben. HaHa. Gut dass wir es nicht besser wussten, sonst hätten wir womöglich noch gekniffen.

Karsten testete auch im Wohnzimmer: Neoprenkappe für Kaltwasser passt, Schwimmbrille sowieso, Paddles sind auch groß genug, kann los gehen!

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Gute Wünsche trudelten ein, hier ein besonders schönes Exemplar von Major Tom:

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Wir reisten am Samstag an und holten unser Starterpackage ab, das ganze ging extrem entspannt vor sich, keine gelegentlich übermotivierten Triathlonkampfrichter weit und breit, Ausweis zeigen, Versicherung nachweisen, Tasche nehmen, fertig, keine Schlange, alles easy. Auch formell "einschreiben" mit Unterschrift auf einer Liste wie bei der Tour de France durften wir uns.

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Eine kurze Ansprache / Wettkampfbesprechung gabs auch, Highlight war der Satz, dass wir viele Boote, Sanitäter, Streckenposten etc. sehen würden, viel mehr als üblich, vermutlich mehr als auf allen anderen SwimRun-Strecken zusammen. Das läge nicht daran, dass es hier besonders gefährlich wäre, sondern dass die deutschen Gesetze es so vorschrieben. Man wolle uns keine Angst machen, bitte macht alle euren Wettkampf wie immer, es gibt keinen Grund für irgendwas anderes. LOL. Das ganze auf Englisch natürlich, insgesamt 26 Nationalitäten am Start bei 117 Zweierteams und die Schweden ziehen die Strippen.

Ach ja, die Streckenlängen hatte Joe noch analysiert und auf einen Spickzettel notiert, abends im Hotel wurde abgefragt:

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Die Profis notieren sich die Längen der einzelnen Abschnitte übrigens mit Edding auf den Paddles, da weiss man unterwegs immer was gerade ansteht. Wir hofften dass wir auf den Schwimmstrecken recht konstant stark unterwegs sein würden, beim Laufen würde sich der richtige Ansatz unterwegs schon weisen. Unser Material war auch bereit zum Einsatz, die speziellen SwimRun - Neoprenanzüge mit kurzem Bein und Frontreissverschluss wurden uns von Jan Sibbersen und Sailfish speziell für den Einsatz am 1.10.2017 zur Verfügung gestellt, sehr starke Geste und Top-Material, vielen Dank!

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Frühstück sollte es im Hotel erst ab 7 Uhr geben, da fuhren aber bereits in Rheinsberg im Ort die Busse zum Start ab. Wir waren auch darauf vorbereitet und stärkten uns um kurz nach 6 mit Müsli auf dem Zimmer. Am Start in Wesenberg parkte tatsächlich ein Espressostand im original italienischen Ape-Dreirad, der Kaffee duftete verführerisch, aber Bargeld hatten wir hier, in voller Rennmontur, leider keins dabei. Stattdessen optimierte Karsten 5 Minuten vor dem Start noch seine Paddles, wobei ein Riemen abriss - na super - hektisch wieder notbehelfsmässig eingefädelt, es sollte letztendlich halten, fällt aber eindeutig in die Kategorie "unnötig".

Und schon gings los, relativ weit hinten trampelten wir mit den anderen in der Herde durchs Örtchen, bei km 1 tatsächlich eine Zeitnahme, wir im 4:50er Schnitt unterwegs, leicht zu schnell, 5:10 sollten es sein. Gleich weiter auf einem SingleTrail parallel zur Strasse, das erste Team stand mit Schwierigkeiten am Rand, vor 2 Minuten waren sie noch an uns vorbeigestürmt im 3:50er Schnitt... Bald ging es in den Wald, der uns mit grünem Blätterdach und rotbraunem Laubteppich empfing:

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Nach knappen 4 km auch schon der erste See, gleich mit mehr als 1000m ein langer Schwimmabschnitt:

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Die Landschaft, man sieht es auf den Bildern, ein einziger Traum, umsomehr als man mit dank erhöhtem Puls geschärfter Sinne und an diesem Punkt auch noch sehr gut bei Kräften unterwegs ist. Die fast idealen Bedingungen mit um die 15 Grad Luft- und Wassertemperatur, dazu kein Wind und somit flaches Wasser trugen das Ihre dazu bei. Die Wassertemperatur war unterwegs übrigens völlig unauffällig, bei weitem nicht so kalt wie sich die Zahl 15 inbesondere fürs Wasser hier liest. Auch das Laufen im Neo und mit Badekappe sorgte nicht für Schweissbäder, zumindest nicht bei unserem Tempo ...

Die Veranstalter sehen die Fotos als eines ihrer wichtigsten Werbemittel, es ist ausdrücklich erwünscht sie zu kopieren und weiterzuverwenden (so lange es nicht zu kommerziellen Zwecken geschieht). Und bei der Qualität kopiert man sehr gerne. Hier die Drohnenperspektive:

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Unten auf der Erde waren wir gut in unseren Rhythmus gekommen, beim Laufen lagen wir jetzt deutlich über 5min/km, beim Schwimmen kannten wir zwar unsere Geschwindigkeit nicht, überholten aber insbesondere auf den ersten 3-4 Schwimmabschnitten fortlaufend andere Teams. Beim nächsten Lauf ein Teil von Ihnen aber wieder uns. Da es am Anfang viele längere Schwimmen gab, arbeiteten wir uns im Feld nach vorne. Bis zum Mittelteil des Rennens, dieser war dann lauflastig, hier verloren wir Plätze. Team 13 lief an uns vorbei, "Man ist das geil hier" rief einer von ihnen. Da hatte er einfach mal den Nagel voll auf den Kopf getroffen, mitten in der Natur sowohl im Wald als auch im Wasser machte das einfach riesengroßen Spass. Die Wechsel klappten mittlerweile gut - bei 11 Lauf- und 10 Schwimmabschnitten konnte man ja auch oft genug üben - , die Wade hielt soweit und wir waren frohen Mutes, freuten uns allerdings jeweils mehr aufs Schwimmen als danach wieder aufs Laufen. 7 Verpflegungstellen waren über die Strecke verteilt, die wir gerne nutzten.

Hier Joe beim Wasserausstieg, Karsten zieht sich gerade rechts auf dem Steg die Schuhe an (die beim Schwimmen im Hosenbein vom Neo auf dem Oberschenkel waren, Joe hat seine Schuhe hier an den Füßen, nur auf den längeren Schwimmabschnitten hat auch er die Schuhe in den Neo gesteckt):

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Die Laufabschnitte gestalten sich hingegen herausfordernd, Sandwege, grobes Kopfsteinpflaster, Pfade durchs Unterholz, auch die ein oder andere Dehnpause für die Wade gesellt sich dazu. Wir gehen manchen Hügel hoch anstatt zu laufen, besser ist das bevor noch was passiert.

Das Laufen auf unebenem Terrain ist mit flacher Strecke a la Niddauferweg oder gar Strasse ja nicht zu vergleichen. Der Fuss setzt bei jedem Schritt anders auf, mal kippts nach links, mal rutschts nach hinten, Sand, Steine, Äste, feuchtes Laub, griffiger Erdboden, es wechselt ständig. Die Anforderungen an die kleinen, stabilisierenden Muskeln sind viel höher als auf Standardgeläuf. Und die Ermüdung der laufspezifischen Muskulatur kommt viel schneller, insbesondere wenn man hier doch deutliches Trainingsdefizit hat. Energetisch sind wir ebenfalls gut gefordert, die nächste Energy-Station kommt leider nicht so bald wie gewünscht, wir kämpfen uns zu Energy6 und verpflegen uns erstmal ausgiebieg, dehnten die Waden, das mag ein paar Minuten gedauert haben, aber allemal besser als ein paar km weiter mit leerem Tank liegen zu bleiben.

Gegen Ende wieder mehr Schwimmabschnitte, auch regnet es jetzt, aber das bemerken wir kaum und es spielt, anders als zB beim Triathlon-Radfahren, auch keine Rolle. Es ist nun recht einsam um uns herum, nurmehr die selben 2-3 Teams, man sieht sich immer wieder. Dann biegen wir ums Eck und sehen ...

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... hinter dem Obelisken das Rheinsberger Schloss. Die Finishline! Nicht mehr als einen 500m Schwimmabschnitt entfernt. Ja, es wurde Zeit, viel Reserve war nicht mehr da. Karsten ob der Aussicht nochmal mit Energyflash, presst die letzten 2% aus den Armen und schwimmt mit Schuhen im Hosenbein voraus, Joe (gebremst von den Schuhen an den Füssen) im Schlepptau, bei allen vorherigen Schwimmen war die Reihenfolge umgekehrt gewesen. Ausstieg, noch 300m Schaulaufen, auch am letzen Hügelchen noch eine obligatorische Dehnpause, dann geht es erhobenen Hauptes durch den Zielbogen:

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Es war wunderschön.

Bei der Afterraceparty durften wir dann noch mit den Podiumsfinishern aus Michelstadt, Sebastian Bleitgen und Frank Mertins vom "swimrunART Odenwald" - Team abhängen, die haben nicht nur einst bei 'unserem' Totti das Kraulen erlernt, sondern mischen heute ziemlich weit vorne im Swimrun-Sport mit.

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Hie noch Links mit weiteren Berichten und Bildern vom 1000 Lakes 2017:

otilloswimrun.com/races/1000-lakes/race-report-2017/
swim.de/aktuell/clevere-schweden-verteidigen-sieg-beim-deutschen-oetilloe-67857
www.youtube.com/watch?v=31mpqnNK3Xc
www.flickr.com/photos/otillorace/sets/72157686357889601
www.slowtwitch.com/News/Up_close_with_nature_in_Germany_6591.html
otilloswimrun.com/races/1000-lakes/swimrun/

Galerie

Kommentare

Karsten

Warum wir hier insgesamt knapp 6 Stunden gebraucht haben ist mir auch 3 Wochen danach noch nicht richtig klar, aber Geländelauf ist halt nicht mit Strasse vergleichbar, dito Freiwasser und Becken, dazu 20 Wechsel und 7 Verpflegungsstationen. In jedem Fall haben wir viel Wettkampfzeit für unser Geld bekommen ;-)

Andreas B.

Krasse Sache, well done, Jungs!!!

Jürgen

Herzlichen Glückwunsch zum Finish. Toller Bericht!