Berlin-Riga: mit 15kmh ins Glück (Sommer 2020)

(von Sebastian S) Der Tour-de-France Fahrer fährt wenn es schnell geht eine Etappe mit 50 km/h. Der Ironman/die Ironwoman mit über 40 km/h die 180 km. In der Planung für die Radtour Berlin-Riga nahm ich an, dass ich also locker mit 25 km/h unterwegs sein werde. Beim Ziel von ca. 100 km pro Tag stellte sich die Frage: was mache ich mit dem Rest des Tages, wenn ich nach 4 Stunden die Strecke absolviert habe?

Berlin

Etappe von Trzcianka (ehemals Schönlanke) in Pommern nach Bydgoszcz/Bromberg. 35 Grad Temperatur und 12 h Sonne sind angesagt. Die Strecke ist lang, google maps sagt 125 km.

Inzwischen habe ich gelernt: Satteltaschen, altes Tourenrad, Schotterpisten und Sandwege fressen Geschwindigkeit auf. Und die wichtigste Erkenntnis: warum soll ich mich beeilen? Das Wetter ist schön. An der Strecke gibt es Seen: kurz reinspringen und dann erst weiter. In der Bäckerei sieht der Kuchen lecker aus: noch ein Stopp. Der Friedhof interessiert mich – muss ich mir anschauen. Auf dem Radweg fährt neben mir der dicke Hermann mit seinem E-Rollstuhl. Jetzt kenne ich seine Lebensgeschichte (der sollte mal Ringer werden, aber wg. Hüftschaden ist nichts draus geworden. Hat dann im Kombinat politische Ökomie unterichtet).

raddmno

Zurück zur Etappe nach Bydgoszcz /Bromberg: damit ich überhaupt eine Chance habe, fahre ich um 6:00 Uhr los und nehme erstmal die Schnellstraße nach Pila/Schneidemühl. Das ist nicht so idyllisch und es gibt ein paar LKW – aber ich muss ja ein paar Kilometer machen. Dann über einsame Alleen mit gutem Asphalt von Dorf zu Dorf - ein Traum. Plötzlich ist die Straße zu Ende und es gibt nur noch Sandpiste. Je nach Tiefe des Sands ist Schieben in der sengenden Sonne angesagt. Ich komme mir vor wie bei Paris-Dakar. Dann gar kein Weg mehr (manchmal irrt sich google maps). Umweg über die nächsten Dörfer. Nach 140 km: immer noch nicht angekommen, aber ungefähr 4 Liter Wasser getrunken. Dann um 18:00 mit dem Sonnenuntergang einreiten nach Bydgoszcz. Fühlt sich an wie im guten Western. Coole Stadt: sieht aus wie Berlin und es gibt leckere Cocktails und Fritz-Kola. Am Ende waren es 150 km in 10 h. 15 km/h. Genau richtig.

R1

Die Fakten: am Ende ca. 1500 km in 14 Tagen. Berlin – Bydgoszcz – Torn – Allenstein – Wolfsschanze – Marienburg – Danzig – Kolberg – Stettin. Keine anderen Fernradler unterwegs. Freundlich Leute. Gute Unterkünfte. Gutes Bier. Straßen OK. Radwege eher punktuell - oft zum Glück dort wo man sie braucht nämlich zur Einfahrt in große Städte. Nächstes Mal geht es dann weiter nach Riga. Diese Mal war es nicht möglich, wg. Covid-bedingter geschlossener Grenze zu Litauen und Lettland.

waggon

Ostwall

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