ITU Langdistanz Weltmeisterschaft (4 – 130 – 30 km) / 1. August 2010 - Immenstadt (Allgäu)
Hier der Wettkampfbericht von Joe K. bei seiner zweiten, erfolgreichen WM Teilnahme:
04:20 Uhr. Unplanmaessig wache ich auf. Mist ! Erhoehter Pulsschlag schon im Bett... was mir plötzlich einfällt: ich bin ueberhaupt nicht vollständig ausgestattet im Falle eines Defekts der in letzter Sekunde vor Ort ausgeliehenen Zipp-Laufraeder, jetzt mit Drahtreifen ! Ein abschließender Service vor Ort hat ergeben, dass ich meine geliebten Hed3 mit Schlauchreifen hier nicht mehr fahren sollte. Zu groß wäre die Gefahr, dass bei starkem Bremsen das Carbon weiter an Substanz verlieren wuerde, mit dann fatalen Unfallfolgen, wenn das Laufrad blockiert.
05:20 Uhr. Endlich raus ! Schnell ein Muesli mit Banane rein, die Saecke fuer die 3 Disziplinen geschnappt und mit Anita am Steuer nach Buehl am Alpsee zum Rad Check-In. Die kurze Anfahrt von 12km führt von Missen ueber den Zaumberg hinunter nach Immenstadt, eine Strecke, die ich heute per Velo (bzw. mein Cervelo P3C) noch zwei Mal erleben werde. Der See zeigt sich mir von seiner schönsten Seite heute morgen. Wenige Bojen weisen den Weg ueber 4km, die ab 07:30 Uhr auf mich warten; 1800m raus, 400m quer und 1800m zurueck.
06:00 Uhr: Beim Check-in habe ich kurz das Gefühl, beim 1. Immenstadter Jedermann-Triathlon zu sein. Eine voellig unspektakulaere Wechselzone auf gruener Wiese, die Carbonraeder in Holzvorrichtungen gesteckt, die man wohl schon beim 1. Deutschen Triathlon hier im Jahr 1983 verwendet hat. Da, wo die Raeder zu nah beieinander stehen, wird kurzerhand mit dem Bohrschrauber umgerüstet ! Wenig spaeter befinde ich mich kurz vor dem Start der Profis am Schwimmeinstieg und werde dort meine Beutel fuer das Laufen bzw "After Race" los. Jetzt sehe ich auch den amtierenden Weltmeister aus den USA, Timothy O'Donnell, der umgeben von seiner Crew noch Sonnencreme verpasst bekommt. Er sieht fit aus ! Ich bin kurz gewillt, mich anzustellen, denn der UV-Schutz fehlt bei mir auch noch. :-)
Ich halte Ausschau nach Anita und den Kindern, die zumindest zu meinem Start, 30 Minuten nach den Profis, kommen wollten. Ich sehe viele Lokalpatrioten in Einteilern mit Nachname und Landeszugehoerigkeit auf Brust und Ruecken. 30 verschiedene Nationen sind hier heute anwesend, ca 70 Profis und 700 Altersklassenathleten haben sich in die Startliste eingetragen.
7:00 Uhr. Der Start der Profis erfolgt pünktlich und bei mir steigt die Anspannung. Endlich sehe ich meinen "Fanclub" ! Ausgestattet mit 4 selbst gestalteten Shirts mit dem Aufdruck "Ironjoe - simply the best" erkenne ich die hohe Erwartungshaltung. Jetzt gilt's !
07:12 Uhr. Warum stehen die alle hier noch rum und schwimmen sich nicht ein, frage ich mich. Die Antwort weiss ich mit dem Eintauchen meiner Fuesse im 16,5 Grad kalten Wasser. Mit ein paar warmen Gedanken schwimme ich ein paar mal hin und her und positioniere mich direkt an der Startlinie. 10 Minuten spaeter wird es dann doch etwas hektischer und ich weiss, dass meine unmittelbare Nachbarschaft auch die Flucht nach vorne und eine Zeit um die 60 Minuten anvisiert. Mit dem Startschuss dann nur noch fliegende Arme, rechts und links, und dann zusehen, die ersten 200m deutlich unter 3 min zurueckzulegen. Das gelingt. Auf den ersten 1800m bis zur ersten grossen Boje hilft mir das Fuehrungsboot mit gelber Flagge als Orientierungshilfe, welches ich ca 50-100m schraeg vor mir erkennen kann. Auf dem Weg zurueck schwimmen wir direkt der tief stehenden Sonne entgegen und ich bin mir lange nicht sicher, ob wir auch nur annaehernd auf einer "Ideallinie" sind. Der Typ hinter mir weiss es offensichtlich auch nicht, mag aber meine Tempoarbeit und kann es einfach nicht lassen, mir in regelmaessigen Abstaenden immer wieder auf die Fuesse zu schlagen. Sollte ich jetzt nach 2-2.5km mal kurz zum Brustbeinschlag uebergehen ? Nein, ich entscheide mich zu einem kleinen Richtungswechsel, halte die Beine still und zwinge ihn so neben mir zu schwimmen. Im Abstand von ca 50m taucht von schraeg hinten ein schoener 2-Master auf. Von dort wird offensichtlich live gefilmt. Ich nutze das Schiff als neue Orientierungshilfe auf dem letzten Kilometer. Etwas krampfende Beine erinnern mich sofort an die anstehenden "Bergwertungen" und ich versuche ein wenig zu dehnen. Auf den letzten paar Hundert Metern erhoehe ich die Armfrequenz, zumal ich die Arme im Rennverlauf ja nur noch zum Lenker festhalten brauche. Es gelingt mir ein starkes Finish der 1. Disziplin.
08:30 Uhr. Super Stimmung dann beim Ausstieg an der Wasserwacht. Ich habe noch nie so grosse Kuhglocken gesehen bzw gehoert. Mit dem Radbeutel unterm Arm geht es ins Wechselzelt; raus aus dem Neo, Startnummernband ran und zum Rad. Aufgrund des Wechsels beider Laufraeder werde ich die 130km ueber 2000 Hm heute ohne Tacho absolvieren. Stattdessen werde ich die KM-Marken entlang der Strecke als Kontrolle heranziehen, ob ich auf Kurs fuer ein Stundenmittel von 30km/h bin.
Ich naehere mich der 1. Herausforderung und diese wird schon vor der letzten Kurve nahe der Immenstadter Innenstadt lautstark angekuendigt. Eine ca 400m lange Rampe mit 15+% Steigung, der Kalvarienberg, erwartet mich. Ich trete locker in leichtem Gang und geniesse die Begeisterung, die mir schon so frueh um 08:40 Uhr zuteil wird. An diesem Triathlon-Wochenende steht Immenstadt Kopf und dieses Jahr gesellt sich noch eine grosse Anzahl Sportbegeisteter aus dem Ausland dazu.
Auf dem welligen Weg in Richtung Niedersonthofen, wo der 4km lange Anstieg nach Ettensberg in 975m Hoehe wartet, ueberholt mich die Startnummer 525, Georg Anstett, der wieder mal die AK 40 gewinnen sollte (letztendlich in 7:01h !!!). Wenigstens beim Schwimmen konnte ich ihm seine Grenzen aufzeigen... :-)
Dann am Anstieg nach Ettensberg das 2. Stimmungsnest. Hauptakteure sind Andreas, Kim und Marie (auf dem Arm) vom Fun-Ball Dortelweil. Mensch, nur wegen mir ! Vor Begeisterung wird jetzt mal nicht gleich hoch geschaltet, sondern aus dem Sattel gegangen ! Die Quittung für diesen Einsatz erhalte ich nach der nächsten Kurve…
In Serpentinen geht es weiter bergauf, zunaechst nach Linsen, mit Blick hinunter auf den Niedersonthofener Badesee. Fast oben vernehme ich nochmals laute Unterstuetzung. Im schattigen Tannenwald stehen im Abstand von 30 Metern 4 Megaboxen, die mir "Nutbush City Limits" von Ike & Tina Turner entgegenschmettern. Nach einer kurzen Abfahrt geht's noch einmal hoch und dort hat sich Anita mit den Kindern mit einem 2,5 Meter grossen Banner positioniert ! Eine super Ueberraschung !!!
Von dort geht es rasant abwaerts, vorbei an Stacheldrahtzaeunen, die liebevoll mit Heu in Plastiksaecken verkleidet wurden.
Die ersten 30km absolviere ich in etwas mehr als einer Stunde - absolut im Rahmen meiner Renneinteilung. Jetzt auf der welligen Strecke nach Sueden bis zum Wendepunkt in Oberstaufen (KM 50) moechte ich das Tempo leicht erhoehen. Ab KM 75 machen sich jedoch meine Oberschenkel mit Kraempfen bemerkbar, was mir beim Gedanken an den 2. Anstieg hoch nach Ettensberg nicht schmeckt. Vorher erlebe ich aber nochmals den Kalvarienberg - einfach gigantisch. An ein Ueberholen ist nicht mehr zu denken. Einerseits geben es die Beine nicht her, andererseits ist das Spalier viel zu eng. So geniesse ich mit schwerem Tritt diesen letzten Anstieg in der Stadt, bevor mich Andreas und Kim wieder in Richtung Ettensberg anfeuern.
12:00 Uhr. Mit Sehnsucht erwarte ich das Waldstueck mit den Boxen und es ist wohl kein Zufall, dass jetzt "The final countdown" der Band Europe angespielt wird. Wenig spaeter steige ich bei Anita, Elena, Valerie und Flo kurz vom Rad, um ein paar Worte zu wechseln. Flo reicht mir seine Flasche Wasser - ich muss fertig aussehen ! :-)
Mit der Aussicht auf eine insgesamt gute Radzeit begebe ich mich auf die letzten 30 km. Der Gegenwind stoert nicht, ich bereite mich mit hoher Frequenz und mittlerweile auf dem kleinen Kettenblatt auf drei abschliessende 10k-Runden vor.
13:00 Uhr. Ich begebe mich auf die Laufstrecke - vom Auwaldstadion 1,5km in die Stadt, zurueck durchs Stadion und raus in Richtung Iller zur 2. Wendemarke bei km 7.5. Von dort zurueck ins Stadion. Trotz bewusst lockerem Lauf gelingt mir die 1. Runde in 51:30min. Zumal meine Beinmuskulatur bei diesem doch leicht welligen Gelaende - ueberwiegend auf Kies - immer wieder leicht krampft, nehme ich noch etwas Tempo raus. Bei KM 15 bin ich 1:18h unterwegs, laufe auf einen Hollaender auf, der sich auch kurz zum erschwerten "nicht flachen" Profil aeussert. Meine Fanclubs sind mittlerweile konzentriert im Innenstadtgebiet zu sehen und zu hoeren. Die Familie im Stadion und Andreas, Kim und Marie an verschiedenen Orten der Fussgaengerzone. KM 21 nach 1:48h. Ich habe mittlerweile 2 Baender erhalten und befinde mich auf der letzten der 3 Runden. Noch einmal geht's zu den beiden Wendepunkten und dann auf der Tartan-Innenbahn zur erloesenden Finishline ! Nach 8:07h bin ich glücklich und zufrieden als 123. gesamt und 26. der AK40 im Ziel.
Fazit:
Eine tolle WM-Veranstaltung mit sehr anspruchsvollem Terrain, einer wahnsinnigen Stimmung entlang der Strecke und einer beeindruckenden Landschaft ! Dass der WM-Zirkus der ITU weiterzieht, spielt keine grosse Rolle, denn auch die jährlich stattfindende Allgäu Classic ueber 2/80/20km ist eine sehr schoene und erlebnisreiche Triathlon-Veranstaltung.