Ironman 70.3 St. Croix
von Joe Kopp
Am 6. Mai 2012 startete ich erstmalig bei einem Klassiker der 70.3 IM Serie, dem Halb-Ironman auf der Karibikinsel St. Croix, aufgrund der Schönheit der östlichsten US-Insel und einem knackigen 1km langen Anstieg auf der Radstrecke liebevoll auch „the Beauty and the Beast“ genannt. Wie kommt man auf eine solche Idee ? Es reicht, einen „loco aleman“ (die Person wird im Text noch erwähnt….) zu kennen, der einem genug Mut zuspricht, dort sein Glück für eine Hawaii-Quali zu suchen… NO EXCUSES ! J
Nach langer Anreise mit Stop-over in Miami, blieben insgesamt drei Tage zum Akklimatisieren und zur Vorbereitung auf den großen Tag. Da dieser Halb-Ironman auch 30 Startplätze für die WM auf Hawaii in Aussicht stellt, hatte ich mich über mehr als 6 Monate sehr konzentriert auf dieses Rennen vorbereitet. Auch wenn es je Altersklasse nur bis max 3 Starkplätze gibt, fieberte ich meinem Start am Sonntagmorgen um 7:41 Uhr sehr entgegen.
Die Veranstaltung, die es seit 24 Jahren gibt, ist überraschenderweise völlig unspektakulär. Rad-Check-in am Wettkampftag mit "Body-Painting" ab 05:00 Uhr (das mit normalen Filzstiften bei Regen nicht funktionieren kann !!!), keine Ironman-Messe am Rennwochenende, eine kleine Wiese für T1 und gleichzeitig T2, sowie ein übersichtliches Starterfeld von ca 800 Athleten (inkl. Sprint-Distanz).
Das Wetter meinte es eigentlich gut mit den wenigen Nord-Europäern. Es hatte geregnet und war einigermaßen kühl. Als die Profis, allen voran Andy Potts, Terenzo Bozzone und Lance Amstrong pünktlich um 06:30 Uhr auf die 2km Schwimmstrecke ins Rennen gingen, nutzten wir die angenehme Wassertemperatur noch für ein paar Kraularmzüge aus. Selbstverständlich galt Neoprenverbot !
SWIM - Mein Start mit ca 70 weiteren AK-Athleten verlief dann problemlos mit Sprint von der Christiansted unmittelbar vorgelagerten kleinen Insel (zu der jeder Athlet erst einmal schwimmen muss), gefolgt von ein paar schnellen Armzügen. Dann ging es nach 50 Meter schon in die einzige Linkskurve und dann raus aufs Meer. Leichter Wellengang, Regen und kaum Sicht unter Wasser machte es nicht ganz einfach, die Richtung der ersten 700m zu erahnen. Bereits nach wenigen Minuten waren die langsamen Schwimmer der AK 35-39 gestellt und es dauerte nicht lange, da waren auch die Nachzügler der AK30 und AK25 eingeholt. Gegen Ende der 2km (auch laut Garmin tatsächlich 2.04km) spürte ich dann die fixen Jungs der AK45 an meinen Fußspitzen. Schwimmen beendet nach knapp 32 Minuten. Am Abend erfahre ich, dass ich damit noch in den Top 8 meiner AK war.
RAD - Beim Ausstieg hatte der Regen zugenommen und ich konnte auf den ersten 500m der Radstrecke nicht mal erkennen, ob mein Tacho überhaupt funktionierte. Puls hatte ich schon mal keinen ! Ich kam gut in den Tritt und glaubte zu wissen, was mich auf den ersten 35km bis zum „Beast“ erwarten würde. Mit Jan Sibbersen, meinem „Coach“ und St. Croix-erfahrenen Ex-Profi, war ich diese Sektion drei Tage zuvor schon abgefahren. Doch der Schmutz auf den Straßen und die tiefen Pfützen waren neu ! Nach 10km kamen wir wieder in die engen Gassen von Christiansted zurück. Dort galt dann für ca 1km absolutes Überholverbot, was sich bei den Wassermassen in den Straßen auch empfahl. Auf welligem Gelände ging es in westlicher Richtung am Strand entlang. Das Sauwetter hatte den Vorteil, dass man in keinster Weise geneigt war, den Blick rechts und links von der Straße schweifen zu lassen. Volle Konzentration war notwendig bei sehr rauem Asphalt und teilweise 10m langen Pfützen ohne Sicht darauf, was das Regenwasser verbarg. Ich war gut beraten, die Fahrrinne des Vordermanns zu wählen.
Dann, endlich das „Beast“. Direkt in Gang 2 von unten, mit Reserve für den Fall der Fälle. Dank Straßenbemalung in roter Farbe erhielt ich jede Info… 13% Steigung, dann hoch auf 15%, 17%,… dann die Kurve, wo lokale Künstler vor Jahren einen „Drachen“ in Rot und Gelb auf dunklem Asphalt verewigt haben. Innen 25% Steigung, außen 21% (was mir reichte). Nach einem kurzen Übergang mit 5,5% ging’s in die 2. Kurve – dort erstmals ein paar Zuschauer, die mit Ortskenntnis anzeigten, wie die Kurve am besten zu fahren wäre. Ich wußte, dass ich mehr als die Hälfte hinter mir hatte. An dieser Stelle sah ich, dass auch der Garmin Computer aufgewacht war. Puls bei 160. Da bin ich fast am Zenit, aber es folgen noch ca 300m mit 15% und dann 17% - stetig und direkt zum Scheitelpunkt. Zwischenzeitlich längst im 1. Gang. Hartnäckig, aber: wer die Rampen von Viernheim, Fuldatal oder den Kalvarienberg von Immenstadt mit dem Rennrad bezwungen hat, kommt auch das „Beast“ ohne Schwierigkeiten hoch ! Es folgte eine kriminelle Abfahrt mit einer 90 Grad-Kurve am Ende.
Bei Kilometerstand 45 wagte ich den Blick auf den Computer. 1h22min Fahrzeit – Halbzeit ! Inklusive „Beast“ war ich gut im Zeitplan und ich konnte nun flachere Passagen nutzen, den Schnitt im Bereich von 33,5 km/h zu stabilisieren. Mittlerweile befand ich mich auf der Südseite der Insel und fuhr an der Küstenlinie entlang zum östlichsten Punkt der USA. Es lief gut und ich stellte nochmals sicher, dass ich regelmäßig Gels und Wasser zu mir nahm….. PENG ! Wer diesen Laut kennt, weiß im ersten Moment nur, dass irgendwo die Luft schnell entwichen sein muß… es dauerte eine „Ewigkeit“ bis ich realisierte, dass es mein Hinterrad war ! Ein Platten (mein 1. Plattfuß überhaupt bei einem Rennen) ereilte mich nach 58 km des anvisierten „Saison-Höhepunkts“ ! Erste Zweifel machten sich breit… wird mein Pannen-Schaum/Spray tatsächlich halten…? Sekunden später die Gewissheit: es hielt nicht. Mein Schlauchreifen war unmittelbar oberhalb der hed-Carbonfelge eingerissen. So stand ich da und fühlte dieses bescheidene Gefühl, mit ansehen zu müssen, wie glücklichere Athleten einfach an mir vorbeifuhren. Die Straße war relativ flach, aber sehr rau in diesem Abschnitt der Strecke und so sah ich auch, wie sich ca 100 m vor mir und 200m hinter mir ähnliche Pannen einstellten. Ein Wettkampfrichter sicherte mir zu, einen Service-Wagen zu rufen. Ich hatte abgeschlossen mit dem Rennen und war richtig traurig… zu gut war die Vorbereitung auf dieses Rennen, so viel Zeit und auch Geld hatte ich investiert in dieses Projekt „St. Croix“ ! Gemeinsam mit Jan hatten wir auch die Tage zuvor wie „Profis“ agiert und uns mit Massagen, gutem Essen und viel Schlaf vorbereitet. Was sollte ich nur den zuhause Gebliebenen berichten ?
Da rollte Peter aus Toronto aus meiner AK 40-44 heran, erkannte, dass ich einen Schlauchreifen benötigte und überließ mir sämtliches Material für meine Panne. Große Geste und noch größere Erleichterung - es konnte weitergehen ! Leider passte mein Verlängerungsventil nicht auf seinen Schlauchreifen und so musste ich doch auf den Servicewagen warten. Egal - nach ca 30 Min war es soweit. Der Service hatte die passende Verlängerung zur Hand und ich saß kurz danach glücklich auf dem Rad. Die Aufholjagd konnte beginnen. Der Asphalt wurde jetzt immer schlechter und das Terrain wieder sehr anspruchsvoll. Giftigen Anstiegen von 200m mit ca 30-50 Höhemetern folgten kurze Abfahrten…. Bis ich bei Kilometer 78 erneut mit einem Platten am Hinterrad an den Seitenrand rollte. Dieses Mal war der Service innerhalb weniger Minuten bei mir. Wir kannten uns schon und der Gruß fiel kurz aus. Doch die Hilfe war umsonst. Ein spitzer Stein hatte den kanadischen Schlauchreifen durchbohrt. Jetzt fühlte ich mich wie Normann Stadler 2005. Gut im rennen, dann zwei Platten innerhalb kürzester Zeit. Doch Heulen und Fluchen („F****** h*** “) war nicht bei mir !!! Ich wusste sofort, dass ich eine „Mission“ zu erfüllen hatte und dieses Rennen nicht als „DNF“ beenden darf. Laut Computer lagen ca 12km vor mir.
So ging ich mit blockiertem Hinterrad los – der geklebte Schlauchreifen war dummerweise voll auf Kontakt mit Rahmen/Bremsen und verhinderte ein reibungsfreies Rollen. Den ersten Abschnitt (ca 500m) erfolgten mit den Radschuhen, dann ohne. Unzählige, totgefahrene Kröten säumten den Weg. Erst jetzt – barfuß – fiel mir auf, in welchem desolaten Zustand diese Straßen waren. Ich wusste, dass ich so keine 12km überleben bzw dann erhebliche Schwierigkeiten beim Halbmarathon bekommen würde. Bei der 2. kleinen Zuschauergruppe ließ ich mich in eine willkommene und letztendlich rettende Diskussion ein, zog den Helm ab und verweigerte mit ausführlicher Begründung die Mitnahme auf dem Pick-up-Truck. Der Wunsch mit dem Finish machte wohl Eindruck, denn einer der Zuschauer, ein Ex-Militär mit Basis in Augsburg/Bavaria (!) offerierte mir seine Crocs, die er als Gartenschuhe trug. Ich schlug sofort ein und schlüpfte in verschmutzte, dunkelblaue Gummi-Latschen in Schuhgröße 48. Es war ein tolles Gefühl, Gummi unter nackter Haut zu haben. Unter Beifall joggte ich los…. Meile für Meile optimierte ich meine Technik, wie ich am effizientesten in die T2 kommen sollte. Eine weitere Gruppe inkl. Polizei offerierte eine erneute Mitfahrgelegenheit nach Christiansted, die ich 4 Meilen vor Ende lachend ausschlagen konnte. Eine letzte verlassene 5-Mann-Truppe vor dem letzten Anstieg bot sich als mein „Support-Team for 2013“ an („…everybody has a support team here !“). Lediglich der Alkoholkonsum dieser hartnäckiger „Fans“ sprach gegen eine vorzeitige Vertragsverhandlung. Wenig später erkannte ich die Kreuzung, an der die Laufstrecke vorbeiführte und ich war mir sicher, dass ich nach gefühlter Ewigkeit dort eine Verpflegungsstelle finden würde. (Es war schon immer so, dass auf den letzten 10 KM einer 70.3-Radstrecke keine Getränke mehr angeboten werden.) Die Verwunderung bei den freiwilligen Helfern war enorm, als ich mein Rad an den Tisch lehnte und von hinten eine komplette Reihe Becher mit Gatorade abräumte. Ich wusste, dass mir noch 1,5km fehlen würden und ich lief nun gemeinsam parallel zu den Läufern in Richtung Wechselzone. Wenige Meter vorher kam der Wendepunkt für die 2. Laufrunde. Einige Läufer erkannten mich wieder und feuerten mich zusätzlich an. Einer munterte mich auf und war sich sicher, dass ich ihn noch einholen würde am Ende. Er hatte Recht.
T2 – ich wusste, dass einige Freunde an den Ironmanlive.com-Schirmen hingen und sich Sorgen machen würden meinetwegen. So war es perfekt, Jan bei seinem Rad und an seinem Blackberry zu sehen. So konnte ich ihm zurufen, eine eMail an Anita zu schicken mit der Nachricht, dass eigentlich alles „okay“ wäre. Sonst hätte ich meinen Blackberry aus dem Rucksack kramen müssen, der an meinem Wechselplatz lag, was mich wieder 2 Minuten gekostet hätte ! Aber ich hatte doch schon weit mehr als 2 Stunden zu viel auf der Radstrecke verbracht !
RUN - Ich war sehr froh, endlich ohne defektes Rad inkl. Anheben des Sattels laufen zu können. Welche Befreiung ! Und das Tempo, das ich anschlug, war auch für die Zuschauer merklich höher als vom restlichen Läuferfeld zu dieser späten Stunde im Rennen. Schließlich war ich jetzt mit Athleten unterwegs, die 90km Radfahren durften (und nicht wie ich nur 78) und trotzdem stattliche 7h für den Wettkampf benötigten. Wie beflügelt zog ich an einer Vielzahl von Läufern auf meiner 1. Runde vorbei, die mit anspornenden Kommentaren wie „great pace“, „keep pushing“, oder dem Klassiker: „looking good – way to go !!!“ mein Rennen doch noch zu einem kleinen Erfolg – meinem persönlichen - machen sollten. Bei der Wendemarke (km10) stand die Uhr bei 47Minuten, aber kaum hatte ich gedreht und sah mich nochmals dem ersten mehrerer Hügel gegenüber, ging es merklich schwerer. Die km-Durchgangszeiten von 4:50-5:00Min konnte ich schlagartig nicht mehr halten und ich spürte, dass ich doch Körner gelassen hatte irgendwo an diesem Tag. Auch die geplante 1:45h HM-Endzeit verflog, weil ich auf der fiesen 2. Runde um den Golfplatz beim Buccaneer Hotel eine Gehpause inkl. Duscheinlage an einem Wasserhahn einlegen musste. Die letzten 2 Meilen der Laufstrecke, wo mir die erfolgreichen und durchaus glücklicheren Athleten dieses Tages schon mit ausgechecktem Rad und Medaillen um den Hals entgegenkamen, haben nochmals richtig weh getan, aber als ich bei der 20km-Marke einen völlig relaxten Terenzo Bozzone am Straßenrand sah, musste ich nochmals Gas geben. So gelang mir bis zum Ziel noch ein „Strong Finish“. Selten habe ich mich so (lange) auf eine Medaille gefreut ! Das Gefühl, es durchgezogen zu haben, war toll.
St. Croix ist zweifellos eine der großen Veranstaltungen der Ironman-Serie; ein Klassiker, sagen die Profis, der ebenso erlebt werden muss wie das „Escape from Alcatraz“ oder natürlich „Kona“ (mmmh…). Asphalt-technisch eine Katastrophe, sage ich ! Sportlich sehr herausfordernd mit dem Schwimmen über 2km ohne Neo, der Radstrecke mit ca 1200Hm und einer knackigen Laufstrecke. Die Veranstaltung lebt von der Einfachheit vor Ort und der Lockerheit und Gastfreundschaft der Veranstalter bzw „Locals“. Die Straßen-Party „Jump Up“ 2 Tage vor dem Rennen, getarnt als „Carbo-Loading“ bleibt unvergessen in Erinnerung ! Das einmalig schlechte Karibik-Wetter über 4 Tage ebenso. Es war einerseits gut für große, nicht ganz hitzeerprobte Athleten, andererseits schlecht für die Beschaffenheit der Straßen an diesem Tag. Mal sehen, ob ich eines Tages zurückkomme und anstatt der Distanzen 2 – 78 – 33.1 die moderatere Herausforderung über 2 – 90 – 21.1 suche!