Frankfurt Ironman (5. Juli 2015)

(von Matthias J) „Willkommen im Kona Deutschlands“, „Wir haben Hawaii für euch hergeholt“ und diverse andere Sprüche beschreiben ziemlich gut, was sich am 05.07.2015 in Frankfurt abspielen sollte…Dass es bei meinem ersten Ironman heiß werden könnte, war mir bewusst. Mit bis zu 33°C hatte ich im Vorfeld gerechnet und die Wettervorhersage eine Woche zuvor sah auch ganz danach aus. Dass jedoch genau am Renntag nicht nur der heißeste Tag des Jahres, sondern darüber hinaus der heißeste jemals in Deutschland gemessene Tag stattfinden sollte, das hatte ich mir selbst in meinen schlimmsten Vorstellungen nicht ausgemalt. Und auch in Frankfurt wurde mit 39°C ein neuer hessischer Hitzerekord aufgestellt. Ironman bei diesen Temperaturen… ist das Sport, Extremsport oder purer Masochismus?!

Ich tat die letzten heißen Tage vor dem Rennen alles, um der Hitze zu trotzen: kurze Trainings und Spaziergänge in der Sonne, gute Hydrierung und Mineralstoff-Aufnahme. Am letzten Tag dann bis auf das Rad Check-In raus aus der Sonne und Ruhe. Wirklich akklimatisiert fühlte ich mich noch nicht, aber wie soll man das schon sein bei knapp 40°C?! Am Vortag des Ironman ging ich 1,5km Laufen und war vollends durchgeschwitzt… das kann heiter werden, dachte ich mir. Doch was soll man machen? Meckern bringt nichts, also muss man es nehmen wie es kommt oder gar nicht erst antreten. Vielen waren die Bedingungen zu heftig. So holten 13,6% der angemeldeten Athleten zwar ihre Startunterlagen ab, fanden sich aber nicht am Schwimmstart ein. Eine solche Entscheidung kann ich nur respektieren…

Ab in die Badewanne

Neo-Schwimmen? Pah! Bei über 27°C Wassertemperatur war ich froh, dass ohne Neo geschwommen wurde. Zwar bin ich nicht wirklich ein guter Schwimmer, doch bevor ich überhitze, hole ich mir lieber etwas „Abkühlung“ ohne die Gummipelle. Und wenigstens entfiel so das lästige Ausziehen ;-)

Ich ging direkt nach dem Schwimmstart der Profis in das Startareal. Fast schon ein wenig spät, denn da waren schon viele vor mir da. Dabei wollte ich mich weit vorn einreihen, um zügig mit eigener Strategie losschwimmen zu können. 6:50 Uhr startete die Welle der schnellen Agegrouper mit einem lauten Kanonenschlag. Noch 10min bis zu meinem Start. Ich sah nach oben: ein Hubschrauber und eine Drohne kreisten über mir. Ich sah nach hinten: die Sonne ging über den Bäumen auf und eine riesige Menge an blauen Kappen wartete gespannt auf den Startschuss. Und ich mitten unter ihnen! Was für ein ergreifender Moment, Emotion pur. Gänsehaut, Tränen in den Augen, das volle Programm. Ich war überglücklich, hier am Start stehen zu können und das Privileg zu haben dabei sein zu dürfen. Dann klatschten alle, die Hände gingen zum Himmel – ein unbeschreibliches Gefühl.

Bild1

Boom! Punkt 7 Uhr schickte uns die Kanone auf die Reise. Ich brauchte ein paar Sekunden bis zum Wasser und fuhr dann meine Strategie: zunächst rechts raus, um dem Startgetümmel zu entkommen, dann schnurstracks zur ersten Wendeboje. Schneller als gedacht fand ich meinen Rhythmus und in der Tat: Getümmel ließ sich auf meinem Weg nicht erkennen. So entkam ich größeren Schlägen und Tritten, hatte dadurch zwar weniger Wasserschatten, hingegen aber einen angenehmen Start.

Gerade war ich ca. 500m geschwommen, da merkte ich, wie etwas von meiner rechten Hand abfiel. Ich versuchte noch danach zu greifen, doch es war schon zu spät. Mit einem lauten F*** schrie ich ins Wasser… mein Ehering hatte sich auf den Weg zum Boden des Langener Waldsees gemacht. Normalerweise lege ich ihn vor dem Schwimmen immer ab, nur zum Ironman vergaß ich es. Ich war wütend und traurig zugleich. Doch ich musste die Nerven behalten… den Verlust ausblenden und weiterschwimmen. Etwas anderes blieb mir in diesem Moment ja auch kaum übrig. Nun bin ich also mit dem Langener Waldsee verheiratet… nun gut.

An der ersten Wendeboje herrschte ein Getümmel wie beim SSV. Ich schwamm immernoch relativ weit rechts, doch auch da herrschte Stau. Brustschwimmen bzw. Treten auf der Stelle waren angesagt, nur langsam löste sich der Knoten. Beim Wieder-Anschwimmen drückte dann noch jemand permanent meine Füße tief ins Wasser – boah ey! Ich war froh, als es wieder in die Gegenrichtung ging und sich das Feld endlich ordentlich sortierte.

Der Landgang war schnell erreicht. Orientierungsprobleme auf dem Weg dorthin hatte ich kaum, ich schwamm einfach den anderen hinterher. Direkten Wasserschatten nutzte ich aber eher selten, mir war eine kontrollierte Atmung bei freiem Schwimmen wichtiger. Die zweite größere Runde war dann durch recht wenige Schwimmer um mich herum sehr angenehm und verging sehr schnell. Nie hatte ich das Gefühl, dass die Kraft nachlassen würde, ich schwamm aber auch von Anfang an kontrolliert und übernahm mich nicht.

Bild2

Nach offiziellen 1:18:44h kam ich aus dem Wasser. Ein bisschen mehr als 3,8km bin ich laut GPS geschwommen, somit sind das ziemlich genau 2:00min/100m. Das ist in Ordnung. Mit Neo wäre es deutlich schneller gewesen, doch ich hatte mein Ziel erreicht: kontrolliert schwimmen und die 3,8km möglichst locker bewältigen.

Komm, wir machen eine Fahrradtour

Mein Wechsel dauerte mit 6min recht lange, aber einmal Wasserlassen und gut mit Sonnencreme einschmieren mussten sein. Ich kam gut ins Radfahren hinein, trank zunächst ein wenig Wasser und pedalierte locker auf dem ersten Stück nach Frankfurt. Die erste Stunde fuhr ich streng nach Puls und nahm vor allem an den Anstiegen Druck vom Pedal. Und die Temperaturen waren noch recht angenehm… bis der Hühnerberg kam. Dort knallte die Sonne erbarmungslos von hinten auf den Rücken und ich dachte mir: boah, das wird noch lustig! Ein kleiner Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte.

Streng hielt ich mich an meinen Verpflegungsplan: alle 15min etwas Iso, alle 30min zunächst Gel, dann ca. 1,5h lang Riegel, dann wieder Gel. Gerade bei der Hitze war mir und meinem Magen flüssige Nahrung lieber. Dazu noch Wasser, wobei ich das eher zur Kühlung nutzte als zur Hydrierung.

Und Kühlung war auch dringend nötig, denn es wurde immer heißer. Ich klemmte mir frühzeitig zwei Schwämme unter das Trikot auf den Schultern und benässte diese beständig bzw. tauschte sie aus. Dazu kam Wasser über’s Trikot, die Schultern, den Kopf und die Beine. Dieses Programm machte einen Großteil der Radstrecke zumindest erträglich, auch wenn der Asphalt verstärkt brannte…

Auf dem Weg nach Rodheim bekam ich in der ersten Runde dann leider eine 5min Zeitstrafe. Auslöser war eine unglückliche Situation, in der ich durch eine Unachtsamkeit zu lange zu nah hinter einem Athleten blieb, der mich überholte, direkt vor mir einscherte und auf einmal langsamer wurde. Genau in diesem Moment war halt ein Kampfrichter da… dumm gelaufen, aber aus meiner Sicht auch völlig zu Recht. Regel bleibt Regel und das akzeptiere ich. Insgesamt fand ich es schwer, bei der Masse der Athleten immer regelkonform zu bleiben, in Zukunft muss ich hier noch besser aufpassen.

Das Stimmungs-Highlight der Radstrecke war auf jeden Fall der Heartbreak Hill in Bad Vilbel. Volksfest-Stimmung und jede Menge Leute, die einen den Berg hochpeitschten. Meine Familie wartete da und auch auf Martin traf ich, der im Sprint den Berg hoch ein paar Fotos schoss. Eine echt tolle Atmosphäre! Auf Runde 2 und an anderen Stellen der Strecke ging es da deutlich ruhiger zu und auf jeden Fall ruhiger im Vergleich zu den letzten Jahren. Die Hitze machte nicht nur den Athleten zu schaffen, auch viele Schaulustige blieben dem Spektakel bei derart tropischen Temperaturen lieber fern…

Bild4

Auf Runde 2 entzerrte sich das Feld immer weiter. Ich überholte immer öfter andere Athleten, denen die Hitze zu diesem Zeitpunkt mehr zu schaffen machte als mir. Und nicht nur ihnen, auch das Material litt. Mehrfach sah ich verloren gegangene Trinksysteme (inkl. Halterung!) und viele viele Flaschen. Und etliche Athleten, die entweder mit technischen Defekten zu kämpfen hatten oder in einen Unfall verwickelt waren… Hinzu kamen die, die am Straßenrand im Schatten saßen und scheinbar ihr DNF verarbeiteten. Davon blieb ich zum Glück erst einmal verschont, doch auch ich freute mich über jede Wasserdusche, die über die Straße gehalten wurde.

Mein in der ersten Runde angeschlagenes Tempo von etwas über 34km/h konnte ich leider nicht halten, zu brachial krachte die Sonne von oben herab. Die Getränke sorgten auch nur noch unmittelbar nach der Verpflegungsstation für Kühlung, 10km später waren sie schon unangenehm erhitzt. Ab Friedberg wurde es auf der 2. Runde dann hart. Die Hitze war kaum mehr zu ertragen. Ich glaube, ich schnappte mir nur 2 Radflaschen, eine Iso und eine Wasser. Ein Fehler, denn die Strecke bis Bad Vilbel war der reinste Glutofen. Von Rodheim an fiel das Atmen schwer, hinzu kam ein listiger Seitenwind, der wirkte, als würde man einen heißen Fön ins Gesicht geblasen bekommen. Besonders schlimm war der Teil von Petterweil über Nieder-Erlenbach nach Bad Vilbel. Der Asphalt glühte und ich konnte mangels Wasser nicht mehr für Kühlung sorgen. Ich dachte mir „bloß schnell weg hier“, denn das Zwischenziel der Verpflegungsstation in Bad Vilbel war nicht mehr weit. Mit viel Mühe kam ich da auch an, doch auf dem Weg dorthin hatte ich etliche Körner zu viel verloren! Ich fühlte mich überhitzt und leicht dehydriert, kein gutes Zeichen und absolut keine gute Voraussetzung für den Marathon. Leider konnte ich gar nicht viel daran ändern. Eine Flasche mehr Wasser in Friedberg wäre notwendig gewesen, danach konnte ich bis Bad Vilbel aber eigentlich nur fahren und der Hitze trotzen…

Bild3

Verpflegungsstation in Bad Vilbel… frisches Wasser, endlich! 3 Flaschen gekrallt, was für eine Wohltat! Und dann bis Frankfurt fast nur noch rollen lassen. Wobei ich selbst das Rollen als anstrengend empfand. Bemerkenswert: weder vor mir noch hinter mir war ein Athlet in Sichtweite… hatte die Hitze vielen doch mehr zugesetzt als mir? Endlich erreichte ich T2 und freute mich vor allem erst einmal auf das Eis an der Laufstrecke. Der Wechsel dauerte laut meiner Uhr 2:20min, laut IM-Tracker unerklärliche 5min (?). Einige fragten mich nachher, ob ich mich geschminkt und gepudert hätte. Nein, nichts dergleichen. Nur Kompressionssocken an, noch nen Packen Sonnencreme drauf und los (die Sonnencreme half übrigens: ich habe absolut keinen Sonnenbrand davon getragen)!

5:30h habe ich für den Radpart benötigt. Ohne Zeitstrafe und vor allem bei idealen Bedingungen wäre sicher mehr drin gewesen. Dennoch kann ich mit der Zeit unter den Bedingungen sehr gut leben.

Sowas wie Laufen…

„Nur noch laufen“. Ein Spruch, der mir kurz vor Ende der Radstrecke auf einem Schild entgegen kam, war leichter geschrieben als gemacht. Ich kam aus dem Wechselzelt und dachte, ich laufe gegen eine Wand! Nicht nur dass kein Wind wehte, die Hitze kam sowohl von oben (Sonne) als auch von unten (aufgehitzter Asphalt). Kein Wunder, dass die meisten DNF-Athleten in T2 oder auf dem Stück zwischen Wechselzelt und der ersten Lauf-Zeitmessung aufgaben. Es war schwer zu ertragen und ich wusste: das wird ein ganz hartes Ding!

Die erste Verpflegungsstation nach dem Rad war eine Wohltat. Kühles Wasser, Schwämme und Eis auf den Kopf und in das Oberteil. Herrlich! Zügig durchwandert, konnte ich mich hier gut stärken. Und weiter ging’s an der Main-Nordseite Richtung Westhafen, wo ein Teil der Strecke kurzfristig in den Schatten einer kleinen Allee verlegt worden war, um den Athleten die Sonne zu ersparen. Am Westhafen ging es dann auf die südliche Mainseite, aber… was war bitteschön das?! War es auf der Nordseite schon brütend heiß, so kam man hier direkt in die Hölle. Pure Sonne, kein Schatten und eine unbeschreibliche Hitze. Au! Auf der ersten Laufrunde fühlte ich mich echt, als hätte mich ein Bügeleisen überfahren. Wie sollte ich das bloß überstehen?

Doch ich lief weiter. Nicht schnell und stilistisch sicher nicht schön, aber gleichmäßig bei ca. 6min/km (Gott wie langsam, aber mehr war einfach nicht drin). Immer die nächste Verpflegungsstation vor Augen. Wo ich mich dann auch immer ordentlich verpflegte. Ich ging, nahm jede Dusche und jeden Schwamm mit, den ich mir ins Trikot steckte. Dazu Eis unter die Mütze und immer Wasser (halb auf den Kopf, halb in den Kopf), Iso und Cola. Viel mehr ging nicht. Abwechselnd nahm ich ca. jede halbe Stunde ein Gel und eine Salztablette zu mir, um für die notwendige Energie und Mineralien/Natrium zu sorgen. Die Salztabletten konnte ich nicht mehr im Training testen, sie gehörten an diesem Tag aber zu meinem Pflichtprogramm!

Und mein Magen kam gut mit dem Salz klar. Überhaupt war der Ironman der Triathlon, bei dem ich bis jetzt wohl am wenigsten Magenbeschwerden hatte. Kein einziges Mal musste ich das Dixi aufsuchen und kam -von ein paar Blähungen abgesehen- sehr gut durch das Laufen. Hier machten sich eine gezielte Ernährung im Vorfeld (2 Tage zuvor keine großartigen Ballaststoffe mehr), am Wettkampfmorgen (leichte Kost) sowie ein kontrolliertes Schwimmen sehr positiv bemerkbar. Eine gute Erfahrung für die Zukunft.

Bild5

Die Kilometer schleppten sich dahin. Bis Runde 1,5 ging es mir echt nicht gut und auch meine Familie am Rand sah mich nicht wirklich motiviert oder positiv gestimmt. Interessanterweise wurde es gegen Mitte des Rennens für 10-15km deutlich besser. Von Kilometer 15-30 war eigentlich die beste Zeit meines Marathons. Ich war langsam, aber kontrolliert unterwegs. Zu sagen, mir ging es gut, wäre übertrieben, aber ich hatte das Gefühl, gut durchkommen zu können. Insgesamt war aber jeder Schritt ein Kampf. Ich hatte keine Angst vor dem Hammermann, denn dieser hämmerte pausenlos auf uns Athleten ein. Ich hatte gar keine großen Hoch- und Tiefphasen, im Prinzip war die Erschöpfung die ganze Zeit über allgegenwärtig… und die Temperatur stieg immernoch weiter an!

Das Anlaufen nach jeder Verpflegungsstation fiel mir immer schwerer. Doch einfach nur gehen? Das wollte mein Kopf nicht mitmachen. „Denk an einen Pinguin“ stand auf der Straße. Hab ich gemacht, hat nix gebracht. Weiter ging’s. Ich freute mich auf die letzte Runde… das letzte Mal an jedem einzelnen Punkt der Strecke vorbei, das letzte Mal bekannte Gesichter und eine ansteigende Euphorie bis ins Ziel. Das klappte zunächst gut, die positiven Gedanken waren da. Bis es dann wieder auf die südliche Mainseite ging. Gott, die Hitze! Ich wusste, nur noch einmal hier lang und dann hast du es geschafft. Nur noch lächerliche 7km!

Tunnelblick. Die Abstände zwischen den Verpflegungsstellen kamen mir irrsinnig lang vor. Das Eis unter der Kappe schmolz immer schneller. Einfach irgendwie weitermachen, einfach ins Ziel kommen durch diesen Glutofen. Laufen konnte man das nicht mehr nennen, jeder Schritt schmerzte und die Schuhe schlurften matt über den Asphalt. Noch 4km. Eigentlich ein Zeitpunkt, an dem man motivierter werden sollte. Ich wurde es nicht. Stattdessen wurde mir schwindelig. Erst ganz langsam, dann immer stärker, bis ich das erste Mal leicht torkelte. Nein, das durfte nicht wahr sein! Nicht so kurz vor dem Ziel! Mein Kopf rebellierte, wollte weiterhin Herr über meinen Körper bleiben, der nun schon über 220km durchhielt. Auf jetzt, das Ziel ist nicht mehr weit! Doch wenn der Körper tatsächlich am Ende ist, was kann der Kopf dann noch steuern?

Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie ich das 4. Bändchen über den Arm gestreift bekommen habe oder wie ich um die letzte Wende lief. 2,5km vor dem Ziel sagte mein Körper: jetzt ist Schluss! Ich sah Sterne vor den Augen und direkt an der Verpflegungsstelle Gerbersmühle war der Ofen aus. Ich klappte nicht zusammen, konnte aber auch nicht weiterlaufen. Ich hielt mich am Red-Bull-Wagen fest und vermittelte den verdutzten Helfern, dass es mir nicht gut geht. Danach begleiteten sie mich in den Schatten, wo ich mich erstmal hinlegte und Cola trank… Wie fühlt man sich in diesem Moment? Ehrlich gesagt konnte ich in diesem Moment gar nichts fühlen. Keine Trauer, am ehesten Hilflosigkeit. Mein Kreislauf war kollabiert und ich war froh, dass ich nicht ohnmächtig wurde. Ich konnte nicht aufstehen, meine Beine knickten weg. Ich erinnerte mich an Julie Moss kurz vor der Ziellinie und auch ich wäre gern ins Ziel gekrabbelt… aber keine 2,5km weit! Nach etlichen Minuten entschied man sich mich ins nahegelegene Sanzelt zu begleiten, wo ich mich erstmal auf eine Liege legte. Das war’s! Ironman bei 40°C? Too hot for me! Mir war es genau in diesem Moment fast egal, ich machte mir mehr Sorgen um meine Gesundheit und dass es mir bald wieder besser ging.

Ich wollte allein sein, irgendwie wieder einen klaren Kopf bekommen. Der Arzt schaute mittelbesorgt, war insgesamt aber sehr positiv gestimmt. Ich würde schon wieder werden, nur die Ruhe bewahren. Und so ruhte ich mich zunächst aus und trank viel. Wasser, Cola, Energy – Flüssigkeitszufuhr stellte zum Glück kein Problem dar. Dennoch ging es meinem Kreislauf mies. Aufsetzen ging nicht, geschweige denn hinstellen. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Gefühlt waren erst 30min im Sanzelt vergangen, real waren es bereits über 1,5h.

Allmählich ging es mir besser, nicht nur körperlich, sondern auch mental. Und es reifte der Gedanke: „Das musst du jetzt noch zu Ende bringen! Wenn du das nicht machst, wirst du dir das auf ewig vorhalten! Die Zeit ist egal, das Ziel ist das Ziel!“. Und endlich konnte ich mich aufsetzen und schließlich auch aufstehen. Ich war zwar noch etwas wackelig auf den Beinen und alles tat weh, doch der Kreislauf stabilisierte sich. Nach über 2h war dann Gehen wieder möglich. Der Arzt gab grünes Licht, also raus aus dem Sanzelt… von wo aus ich zunächst noch einmal zur Verpflegungsstelle zurückging, um mich bei den Helfern zu bedanken, die mich „aufgefangen“ hatten. Soviel Zeit musste sein. Und dann setzte ich meinen Weg fort. Jeder Schritt schmerzte, doch der Gang wurde schneller und schließlich war zumindest ein verkrampftes Joggen wieder möglich.

Die Zuschauer an der Strecke waren nur noch spärlich gesät, umso frenetischer feuerten sie jeden Einzelnen der verbliebenen Krieger an. Ich bog in den Zielkanal Richtung Römer ein. Athleten standen am Rand und klatschten ab. 2,5h eher wäre ich hier im Freudentaumel durchgelaufen, jetzt fühlte ich mich sehr unreal. Ich war in diesem Moment weder großartig glücklich noch traurig. Am ehesten war ich etwas frustriert, zugleich aber auch froh, das Ziel erreicht zu haben… Klar freute ich mich, das war aber nicht vergleichbar mit der Euphorie, die ich hätte empfinden sollen – ich fühlte mich meines Zieleinlaufs beraubt…

„You are an Ironman“… ich hatte es tatsächlich geschafft! Ich kam mir vor wie im Traum, ein Nebel aus Freude und Erleichterung umschloss mich. 13:50h zeigte die Uhr für mich am Ende an, doch die Zeit spielte keine Rolle mehr. Ich war froh das Ziel erreicht zu haben, konnte in diesem Moment aber gar nicht ermessen, was ich geleistet hatte.

Bild6

Was für ein Tag!

Eine kombinierte DNS/DNF-Quote von 34,5% zeigt, dass dies kein normaler Tag und kein normaler Ironman war. Und ich respektiere jeden, der bei dieser Hitze ausgestiegen ist. Die Tage danach war ich absolut erschöpft – natürlich körperlich, vor allem aber auch mental. Und selbst 1,5 Wochen nach dem Tag X fühle ich mich noch immer von der Hitze ausgelaugt. Mittlerweile habe ich den Tag jedoch gut verarbeitet und bin stolz, es geschafft zu haben – allen Widrigkeiten zum Trotz. Klar wäre es schön gewesen, die letzten 2km ohne Kollaps ins Ziel zu laufen und unter 11:30h zu finishen, denn ich war gut vorbereitet und klar auf diesem Weg unterwegs. Auch hadere ich noch etwas mit der Tragik, dass mein Ironman mit dem heißesten Tag Deutschlands zusammenfiel. Sei’s drum. Am Ende habe ich eine ewige Erinnerung und werde wohl meinen Enkeln noch von der großen Hitzeschlacht erzählen können ;-) Ironman bei 40°C – das war einfach kein Sport mehr, sondern kollektive Selbstzerstörung!

Bild7

Bei Kilometer 30 des Marathons rief ich einem Freund zu „Nie wieder Ironman!“. 10 Tage später muss ich darüber etwas lächeln, denn ich glaube nicht, dass ich das auf Dauer einhalten kann. Wenn es meine Zeit erlaubt, werde ich wieder eine Langdistanz machen. Sicher nicht in diesem und im nächsten Jahr, wahrscheinlich auch nicht 2017… wer weiß? Nun freue ich mich aber erst einmal, kürzer treten zu können, die geschundenen Knochen, Sehnen und Muskeln zu regenerieren und Zeit zu haben mich auf Kind Nr. 2 vorzubereiten. 2016 wird dann ein Jahr kürzerer Distanzen, evtl. in der Liga. Denn auch wenn mit dem Ironman ein großes Ziel erreicht wurde – ich möchte den Triathlon in meinem Leben nicht mehr missen und will dem Sport treu bleiben.

Ich danke allen Mitstreitern von Fun-Ball, die mich auf meinem Weg begleitet und unterstützt haben. Ich war bisher noch nie so der Vereinsmensch und bin auch meinen Ironman zum Großteil in Eigenregie angegangen. Ab April stand ich dann über eMail und Forum jedoch in regem Austausch mit anderen Athleten, wodurch ich noch einmal eine zusätzliche Qualität in mein Training einbringen konnte. Ihr habt mir gezeigt, dass der Sinn eines Vereins aus mehr besteht als purem Training. Ich danke insbesondere Karsten, der mir mit tiefgreifendem Wissen und großer Erfahrung wertvolle Tipps geben konnte. Danke dafür!

Links:

Statistik zum Ironman Frankfurt 2015

Drohnen-Video vom Schwimmstart am Langener Waldsee

Galerie